Erstens hat es mich überrascht, dass manche Kollegen keine Ahnung von den allgemeinen Glaubensinhalten des Islams gehabt hatte. Als Schülerin in den Vereinigten Staaten habe ich vielmals (sowohl in der privaten römisch-katholischen Schule als auch in der säkularen öffentlichen Schule) über solche Sachen wie die fünf Säulen des Islams gelernt, obwohl es bei uns viel wenigere Muslime gibt. Weil die muslimische Minderheit in Österreich groß ist und noch immer größer wird, ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, dass die nichtmuslimischen Österreicher eine Grundkenntnis zu dem Glauben ihrer muslimischen Mitbürger haben. Deshalb finde ich es schade, dass so wenige Österreicher die Möglichkeit haben, eine Moschee bzw. ein muslimisches Gebetshaus zu besuchen und muslimische Leute nach den Glaubensinhalten ihrer Religion zu fragen, wie wir im Workshop gemacht haben. Persönlich habe ich in der Grundschule eine Moschee in den USA besucht und habe an meiner amerikanischen Universität an einem Iftar (Fastenbrechenfest) der muslimischen Studentengemeinde teilgenommen, zu dem Menschen aller Religionen eingeladen wurden. Es ist mir nicht klar, warum Auseinandersetzungsmöglichkeiten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen nach meiner Erfahrung relativ häufiger in den Vereinigten Staaten sind, aber es freut mich, dass es zumindest einige Lehrveranstaltungen wie dieses Workshop gibt, damit österreichische Studenten auch Gelegenheiten haben, mehr über den Islam zu lernen.
Außerdem habe ich es sehr interessant gefunden, dass der Imam einen Dolmetscher benutzt hat. Im Gegensatz zu meinen Gruppenkollegen in der letzten Einheit des Workshops glaube ich nicht, dass der Imam „kein Deutsch“ kann, weil er die Fragen und Antworten schon verstanden hat, und als Deutschlernerin selbst werde ich wohl verstehen, warum er trotz einer Grundkenntnisse der deutschen Sprache lieber Türkisch geredet hat. Ohne die Herrschaft einer Sprache fühlt man stetig (und insbesondere bei Gespräche mit Muttersprachler), dass seine Beiträge stammelnd und unwirksam sind. Genau das Gegenteil dürfte der Imam sein wollen: Sowohl wird er wohl gern die Fähigkeit besetzt haben, unsere Fragen genau und gründlich zu antworten, damit wir am meisten hätten lernen können, als auch wollte er wahrscheinlich kenntnisreich und fachkundig aussehen, damit wir ihn, seine Stelle, und die Moschee insgesamt respektieren würden. Dieser Wunsch finde ich verständlich und unproblematisch.
Jedoch bin ich geteilter Meinung, ob es für die muslimische Gemeinde in Österreich eine Hilfe oder ein Hindernis ist, einen Imam ohne beherrschende Deutschkenntnisse zu haben. Einerseits kann der Imam die Probleme seiner aus der Türkei stammenden Gemeindemitglieder besser verstehen, weil er selbst als Einwanderer nach Österreich gleiche Schwierigkeiten erlebt. Andererseits kann er keine richtige Beratungsquelle in diesen Fällen sein. Obwohl er seine Gemeindemitglieder psychisch trösten kann, kann er ihnen nicht z.B. das österreichische Bildungssystem und die Rolle der Eltern während der Schulwechselzeit erklären, damit sie besser die Erziehung ihrer Kindern fördern können, was nach Yasar Ersoy für viele eingewanderte Gemeindemitglieder ein wichtiges Thema ist.
In ähnlicher Weise hat er überhaupt keine Ahnung, wie es ist, in Österreich als Muslime aufzuwachsen, und deshalb würde ich vorstellen, dass er wenig Erfolg bei dem Versuch hätte, Leute der zweiten, in Österreich geborenen Generation zu erziehen und beraten. Bei der Jugendorganisation meiner Kirche hatte ich eine ähnliche Erfahrung. Weil der aus Vietnam stammende Pfarrer und Organisationsleiter das Leben den amerikanischen Jugendlichen nicht verstanden hat, wurde er im Großen und Ganzen von uns nicht respektiert, und wir konnten uns gar nicht vorstellen, seine Beratung bei alltäglichen Probleme zu suchen. Die fehlende Beratungsfähigkeit des Imams Kosan ist noch wichtiger, weil muslimische Jugendliche in Österreich im Schnitt eine sehr enge Verbindung zu ihrem Glauben haben[1] und deswegen gern bei religiösen Behörden nach Hilfe mit alltäglichen Probleme suchen würden dürften, wenn sie das Beratungsvermögen diesen Behörden vertrauen würden.
Zum Inhalt des Besuchs hat es mir sehr gut gefallen, dass besonders Herr Ersoy so bereit war, seine Lebenserfahrungen im Bereich Integration und Ausländerfeindlichkeit mit uns zu teilen. Spezifisch habe ich in den letzten Monaten die von ihm gestellte Frage „Ab wann ist man integriert?“ viel überlegt. Nach seiner Erzählung wird Herr Ersoy von österreichischen Mitbürgern stetig als Fremde genannt und gesehen, obwohl er die am häufigsten von der Bevölkerung beschriebenen Elemente der Integration (u.a. die Deutschsprachkenntnisse und das Wohlgefühl in Österreich) erfüllt und nur unwandelbare Dinge wie die Religion und die Hautfarbe ihm fehlen. Deshalb finde ich es total Blödsinn, wenn Österreicher sagen, dass es keinen Rassismus (und nur Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit) in Österreich gibt. Als weiße Ausländerin in Österreich bin ich eine unsichtbare Minderheit (zumindest bis ich spreche) und habe gar keine Diskriminierung erlebt, was ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen diesem türkisch stammenden Österreicher steht.
[1] Stefan Gaitanides: Die Legende der Bildung von Parallelgesellschaften – Einwanderer zwischen Individualisierung und liberal-demokratischer Leitkultur. In: Zeitschrift für Migration (iza) Nr. 3-4/2001. S. 16-25
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